veröffentlicht am 9.11.2014 unter http://drogenschulen.blogspot.de/2014/11/quo-vadis.html
Letzte Überarbeitung: 19.02.2018


Quam viam, Drogenpolitik?
(Welchen Weg?)


Orientierung

Gesetze ändert der Bundestag. Seine Aufgaben findet er aus sich heraus oder von außerhalb. Viele zusammenzufindende Interessen erscheinen ihm, offizielle, offiziöse, private, prinzipielle. Seine wesentlichen Entscheidungen erfordern die Zustimmung einer zweiten Kammer, dem Bundesrat.

Der Bundestag lässt kein Zeichen eines grundsätzlichen drogenpolitischen Kurswechsels erkennen und meidet sachliche Erörterungen. Einen außergewöhnlichen Hinweis aus der akademischen Welt, den rund die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren zeichnete, wies er im Frühjahr 2017 alleinkompetent* ab. Was die Regierungsverantwortlichen reserviert - eigene Vorbehalte, zu starke Konservativkräfte, internationale Einflechtung, ein mandatsgefährdender Mehrheitswille -, es hindert sie offenbar, das Thema Rausch aufgeschlossen zu behandeln. Ähnliches galt lange Zeit für Cannabisarznei, bis das entscheidende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine gerühmte (2:47-3:05) Eintracht bescherte.
*S. 5, Beschlussempfehlung der CDU/CSU-Fraktion des federführenden Ausschusses gem. Berichterstatter: "Das Parlament werde sich die politische Bewertung nicht von externen Sachverständigen abnehmen lassen. Man sei politisch verantwortlich und verfüge über die erforderlichen Kompetenzen."

Grundrechtlichen Interessen stehen übrige nach. Die Gesellschaft fällt in alkoholischer Schieflage* ihr Urteil. Eine Gerichtsbefassung älter als ihr Anlass erlaubt Überlegungen für eine nächste. Im Gesetz über Betäubungsmittel besteht der wesentliche Mangel in Verhältnismäßigkeit.
*Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen stuft den Durchschnittsverbrauch als riskant ein (S. 2, linke Spalte).


Plädoyer

Das totale Verbot nachgefragter Drogen ist zulasten eines friedensfördernden Auftrags nach Art. 1 Abs. 2 und der Präambel des Grundgesetzes nur so lange geeignet, wie es sich nicht bewährt. Wäre einmal die Gesellschaft vor allen illegalen Substanzen sicher, so wäre auch nur erreicht, dass jeder Rausch ein alkoholischer ist - als ungünstiger für den einen Zwangsbekehrten weniger, für den anderen missbräuchlicher. Legislativ übervorteilter Alkoholrausch zerstreut die schutzbetonenden Abstinenzgründe anderer, nicht gravierend schädlicherer Drogen. Daneben bereitet das Verbot eine unangemessene (1.-4.) und voraussichtlich unerforderliche (I.-IV.) Situation.


1. Unsozial. Das BtMG greift Menschen wegen einer natürlichen und in der Sache tolerierten Neigung an. Es veranlasst die Exekutive, ein besonderes Engagement der Verbrechensbekämpfung auf Geschmacksäußerungen zu richten, die den Mehrheiten von Bundestag und Bevölkerung persönlich missfallen. Durch das Gesetz Benachteiligte erfahren derzeit die größte rechtskräftige Diskriminierung, ihre Grundrechte sind am tiefsten gestutzt (Thesen 64-86). Die finanziellen Attraktoren des Schwarzmarkts müssten sozialbeackernd mindestens energisch, umfassend, fortwährend und nicht zuletzt korruptionsbeständig bewältigt werden.

2. Unethisch. Wesentlich Gleiches ist Gleichen grundverschieden gestattet. Verhinderte werden nicht über eine objektiv gültige Maxime gegen ihre Neigung aufgeklärt, die zentralen Absichten, Schutz von Jugend, Gesellschaft und Gesundheit, nicht prinzipiell verfolgt*. Prävention verbietet und kennt zugleich keine Bezugshemmnisse für Vorbelastete des hart verwertbaren Alkohols. Seine traditionelle Rechtfertigung gleicht der des 3. Reichs, ihre Anerkennung der seines** Leitsatzes, vor dem Ziel die Mittel auszublenden (theokratischer Terror gegen Gleichberechtigung im Mittelalter).
*Ausnahmen u.a. in Kampf-, Motor-, Extremsport, legalen Drogen, Passivrauchen, -parfümieren, Ernährungs-, Bewegungsmängeln, Sylvesterrisiken, Mineralölvergeudung, Schönheits-OPs, Erregerverbreitung, Unterhaltungsgewalt, Porno-Verfügbarkeit.
**z.B. Hitler, 6.4.1920 lt. Polizeibericht: "Um unser Ziel zu erreichen, muss uns jedes Mittel recht sein". (".., selbst wenn wir uns mit dem Teufel verbünden müssten.")

3. Schädlich. Das Verbot wirkt gegen seinen Zweck. Alle Schutzabsichten rufen Widersprüche hervor (Thesen 36-63). Dem Strafrecht wird Verhalten zugewiesen, das meistens keinen hinreichenden, vorsätzlichen oder fahrlässigen Schaden bedeutet. Häufig wirken Vorurteile, Ausgrenzung, Verfolgung oder Überführung auf einen Zuwiderhandelnden und sein Umfeld verhänglicher als sein Gebrauch.

4. Feindlich. Das Verbot produziert Feinde durch feindseliges Dafürhalten. Ein schlimmstenfalls meist pathologisches Phänomen ist polizeilicher Behandlung unterstellt. Ungehorsame werden auf breiter Front observiert, getäuscht, überfallen und enteignet, womöglich noch beschämt, sanktioniert, verurteilt und bestraft. Die Beschuldigten erfahren in der Regel ihre konkrete Schuld nicht sondern formelle oder potenzielle, nicht erstrebte Sachverhalte.


I. Bildung gegen Missbrauch. Wissen und Selbstkontrolle zäumen destruktives Verhalten. Öffentliche Schulen könnten risikenmindernd einweisen. Interessierte erhielten eine sach- und gebrauchsgerichtete Bildung und wären anleitbar, Kritik am Konsum vorurteilsfrei auszuarbeiten, die Kosten des Gebrauchs vorauszuahnen, nüchterne Talente und Ziele aufrechtzuhalten und die öffentliche Ordnung anzuerkennen. Nach erfolgreichem Abschluss stünde der geregelte Erwerb frei.

II. Erwerb mit Warnung. Wenn eine pro Kunde geführte, komplexe Missbrauchswahrscheinlichkeit (Vertrauen, Kredit) den freien Handelspreis nachstellte, würde Fehlverhalten auf allen gleichmäßig und gegen jeden umstandsgerecht ahnbar. Constraints in den Aufschlagsformeln könnte die ermittelbaren Gesamtkosten durch Gebrauchsfehler absichern. Überführtem Fehlverhalten, darunter jugendgefährdendes, folgten Vertrauenseinbußen bis zu befristeten Erwerbssperren. Eine fortgeführt ausgewogene Instrumentalisierung, lotsend, tadelnd, lobend, bedingend, würde abwägbar.

III. Haftung in Zirkeln. Ein freiwilliges, autonom vollzogenes Bürgensystem könnte Kreditsprünge des einen auf ihm vertrauende andere auswirken lassen. So stiege der Nutzen, unter Drogeneinfluss keiner ungebührlichen, fahrlässigen oder fremdgefährdenden Eingebung nachzugeben. Bürgen belebten Eigenverantwortung und sorgten ggf. für Aussprachen im Bekanntenkreis, während zu bürgen dem eigenen Kredit zugute käme. Ihn zu pflegen kann bestärken.

IV. Mitleid statt Fahndung. Ohne permanenten Haftwillen würden vorwiegend ungefährliche Naturen entspannt. Aus Erfahrungen und Überlegungen können Informationssysteme vermitteln, was individuell gegen Gebrauch und an Suchtsignalen einleuchtet. Synergien gemeinsamer Bewältigung lockerten Abhängigkeiten je weniger stigmatisiert um so effektiver. Medizin zeigte sich, wem Drogen dafür nützen.


Resümee

Eine Reform von Prohibition zu Integration findet in den Möglichkeiten der Zeit neue Tatsachen. Statt ein undifferenziertes Kollektiv vorauseilend zu verurteilen, ist eine ausgewogene, d.h. n.M. substanzneutrale, privilegienschwache, verdächtigungsarme und denunziationswidrige Regulierung von Drogen ersucht. Die Gesundheit möge mehr dem Selbstinteresse des mündigen Einzelnen anheim gestellt sein, den Schutz bereitwilliger Jugendlicher möge die Einsicht zur Geduld auf ein gefestigteres Einstiegsalter bewirken, und am Schutz der Gesellschaft möge sich vor allem die Art des Zugangs zu einzelnen Drogen bemessen. Aus der deutschen Geschichte lernend wäre es gut begründet, nicht nur eine demagogisch gediente Droge nicht zu bevorteilen sondern überhaupt Rauschmittel um so aufmerksamer zu kontrollieren, je mehr sie für Intoleranz, Gewalt, Rohheit und Fanatismus missbrauchbar sind.

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